Zu beachten ist, dass Rosa in der akademischen Kunstwelt Prags in dreifacher Weise eine Außenseiterrolle spielt: Rosa ist kein Bürgersohn, der selbstverständlich in großstädtischen Kunsttraditionen aufgewachsen ist. Er hat keine humanistische Bildung genossen, er stammt aus einer Handwerkerfamilie; sein Erbe stellen der Fleiß, das unermüdliche Arbeitsethos und das technische Geschick dieses Lebenskreises dar. Bürgerliche Kunstfrömmigkeit ist Rosa lebenslang ein Graus geblieben.
Zum zweiten stand Rosa links, er galt unter seinen Mitstudenten wahlweise als “Sozialist” oder “Kommunist”, womit wohl weniger eine Parteimitgliedschaft als eine linke politische Einstellung bezeichnet werden sollte. Zu einer solchen Einstellung gehörte Mut. Die von Deutschland aus geschürten Konflikte zwischen Tschechen und Sudetendeutschen enftachten immer fanatischere Leidenschaften, und die Sympathien der deutschsprachigen Bevölkerung fielen eindeutig dem sudetendeuschen Ableger der NSDAP, der Sudetendeutschen Partei (SdP) unter Konrad Henlein zu, dessen Organisation bereits 1935 bei den Parlamentswahlen immerhin zwei Drittel der deutschen Minderheit zustehenden Parlamentssitze erobern konnte.
Und drittens gingen Rosas künstlerische Ambitionen über den Horizont der zumeist religiös geprägten sudetendeutschen Heimatkunst weit hinaus.
Selbstverständlich studiert er die Tradition, aber seine Liebe gehört der Moderne und besonders Cézanne, dessen Kompositionsmethoden und radikale Hingabe an die Kunst ihm zum lebenslangen Vorbild werden.
Dieses dreifache Außenseitertum wird sich in Rosas künstlerischem Auftreten niederschlagen. Es wird regelmäßig als engagiert, selbstbewusst und bisweilen schroff und respektlos gegenüber den Konventionen der bürgerlichen Kunstwelt beschrieben.
Merkwürdigerweise ist es ein viertes Außenseitertum, das Rosas Anlage zum Solitär überdeckt. Die tschechischen Studenten und Lehrer stellen an der Hochschule die Mehrheit und prägen das Klima.
Das kosmopolitische Prag liegt in den letzten Zügen, aber noch existiert es. Rosa wird durch seine Lehrer an die Werke tschechischer Maler, Bildhauer und Architekten herangeführt, was ihn herausfordert, sich in seiner Produktion selbst mit seiner slawisch geprägten Umwelt auseinanderzusetzen.
Zwei Frauenfiguren entstehen – “Slowakin sitzend”, sowie “Slowakin stehend” und werden in der oben erwähnten Schulausstellung präsentiert. Das Prager Tagblatt reagiert in der schon zitierten Besprechung ungnädig: “Man wünschte nur bei allen Arbeiten, dass das Menschenideal Rosas weniger oder überhaupt keine slawischen Elemente aufweisen möchte.” Rosas tschechische Lehrer jedoch fördern sein Talent und zeichnen ihn bei vielen Gelegenheiten aus. Rosas ungewöhnliche Arbeitsenergie, sein hohes technischen Können und sein Materialgefühl, das er seiner Ausbildung an der Glasfachschule in Haida zu verdanken hat, machten ihn zum Star der Hochschule, wie sich Maria Rosa erinnert: “Es war bei einer der ersten Klausurarbeiten, die wir jedes Vierteljahr durchzuführen hatten, als ich bemerkte, wie neugierig alle Studenten auf seine Arbeit waren, und gleich nach der Beendigung der Benotung durch die Jury in dessen Klasse stürzten, um zu sehen, was er gearbeitet hatte und wie er benotet worden war. Es wäre sicher eine Enttäuschung gewesen, wenn nicht immer die höchste Note, nämlich die 14, unter seiner Arbeit gestanden hätte. Er war der ungekrönte König an der Schule.” (Maria Rosa, geb. Panz, Typoskript “Prag”)
Dresden – Studium bei Karl Albiker (1938-1941)
Besonders willkommen ist der neue Staastsbürger Hermann Rosa allerdings auch im Deutschen Reich nicht: Zur “Begrüßung” wird er wegen seiner verdächtigen politischen Aktivitäten erst einmal für einige Wochen interniert – ein beliebtes Verfahren des NS-Staates, das der prophylaktischen Einschüchterung von möglichen Oppositionellen dienen sollte.
Nach der Entlassung gilt Rosas Sorge natürlich der Frage, wo er sein Studium fortsetzen kann. Er geht zu Arno Breker nach Berlin; Breker will unbedingt, dass Rosa zu ihm kommt, doch ein Gang durch Brekers Atelier überzeugt Rosa, dass erhier nicht glücklich werden wird. Dass er eine große Karrierechance so im Vorübergehen wegwirft, weiß er. Breker ist zu diesem Zeitpunkt bereits der unbestrittene “Staatsbildhauer” des Deutschen Reiches. Rosa versucht es nun in Dresden bei Professor Albiker; dieser ist von Rosas Arbeiten angetan und nimmt ihn auf.
Im Rückblick bezeichnet Maria Rosa die Begegnung ihres Mannes mit Albiker als “schicksalhaft”,tatsächlich wird Albiker als Lehrer das weitere Werk Rosas in starker Weise beeinflussen.
Albikers Distanz zum Regime war überschaubar, trotzdem dürfte sie eine wichtige Rolle bei der Entscheidung Rosas gespielt haben. Hinzu kam die gemeinsame Bewunderung für Cézanne und – auf dem ersten Blick überraschend – die Tatsache, dass Albiker als überaus strenger Lehrer bei seinen Schülern gefürchtet war. Seine Urteile konnten vernichtend sein,wie im Falle des späteren Nationalpreisträgers der DDR, heinrich Drake, dem er die Aufnahme in seine Klasse mit den Worten “Sie haben kein Talent” verweigerte und dem er in Hinblick auf seinen erlernten Schuhmacherberuf empfahl: “Sollte es zur Kunst nicht reichen, so können Sie ja wieder Schuster werden.”
Rosa war selbstbewusst genug, um sich von Albikers hohen Anforderungen nicht abschrecken zu lassen. Diese erhöhten im Gegenteil den Anreiz, das Studium bei Albiker aufzunehmen, wie Maria Rosa sich erinnert. “Rosa reizte aber gerade diese Härte und er wollte sich beweisen, dass er f ähig war, auch hier bei diesen strengen Maßstäben mitzuhalten.” (Maria Rosa, Typoskript “Dresden”)
Die Entscheidung war gefallen, zum Sommersemester 1939 nimmt Rosa das Studium an der Akademie für bildende Künste bei Albiker auf; Maria Panz besucht die Klasse von Professor Born und spezialisiert sich hier auf keramische Arbeiten. Rosa stürzt sich voll und ganz ins Studium und beißt sich bei Albiker durch: “Das Studium bei Professor Albiker gestaltete sich für Rosa auch ziemlich schwierig. Albiker hatte ihm schon bei der Aufnahme gesagt, dass er das “Künstlerische” nun ganz abtun und rein nach der Natur sehen lernen müsste. Von lebensgroßen Aufbauten hielt Albiker nichts und es musste in kleinem Maßstab gearbeitet werden.
“Rosa hatte nur sein Studium im Auge. An den Sonntagen besuchten wir Museeen, das Alberinum, die Moderne Sammlung auf der Brühlschen Terrasse, die sehr gute Bilder von Marées hatte. Rosa mochte damals Marée sehr und studierte Fiedlers und Hildebrandts Schriften …”
(Maria Rosa, Typoskript “Dresden”)
Es dauert nicht lang, und Rosa hatte sich wie in Prag durchgesetzt: “… es kam der Zeitpunkt, wo er sich seiner wieder so sicher war, dass er Albikers Korrekturen nicht mehr befürchtete und Albiker selbst ihn als Vorbild hinstellte.” Es entstanden einige sehr gute Akte, an denen Albiker nichts mehr auszusetzen hatte, eher dass er, wenn die Arbeit schon weit gediehen war, dass sie abgeschlossen werden sollte, sie nochmals zusammenschnitt und von vorn begann, was Albiker nicht mochte.”
(Maria Rosa, Typoskript “Dresden”)
Man ist vielleicht geneigt, Albiker in dieser Kritik an Rosas Perfektionismus zuzustimmen. Aber hier biss er auf Granit. Hermann Rosa blieb zeit seines Lebens selbst sein strengster Kritiker. Auch für den Kunstmarkt hat Rosa nie produziert, die Frage, ob er ein Werk einer Öffentlichkeit präsentieren konnte oder nicht, entschied Rosa einzig und allein nach künstlerischen Kriterien
München
Es ist ein absoluter Neuanfang, Prag und Dresden liegen nun endgültig hinter Rosa – in jeder Hinsicht.
“Alle Arbeiten, die er in Prag gemacht hatte, existierten nur noch in Photographien und auch aus Dresden hatte er nur eine sehr beschränkte Anzahl an Akten und Zeichnungen mitnehmen können.”, so berichtet Maria Rosa in ihren Aufzeichnungen über diese Zeit.”
(Maria Rosa, Typoskript I, S. 18)
Wie aber sah das geistige Umfeld aus, in dem sich diese Produktivität entfaltete? Das München der frühen nachkriegszeit war sicher alles andere als ein Hort der Moderne und der modernen Kunst. Es ist wenig verwunderlich, dass die nationalsozialisten ihren Kreuzzug gegen die “entartete Kunst” und ihre Vertreter in der “Hauptstadt der Bewegung” und in der “Hauptstadt der deutschen Kunst” besonders intensiv geführt hatten. Jahrelang hatten einige von Hitlers Lieblingskünstlern, allen voran der “Reichsschamhaarmaler” Ziegler und der “Reichsheldenkneter” Thorak, die Richtung an der Akademie bestimmt.In München war, wie Gottfried Knapp am 8. September 2010 in der Süddeutschen Zeitung schreibt “der lieberale Geist so gründlich vertrieben, dass es nach dem Krieg viele Jahre dauerte, bis sich in der Akademie wieder ein Humus gebildet hatte, auf dem sichdie Künste frei enfalten, die verbannte Moderne Fuß fassen konnte.”
Die personelle Kontinuität hatte ihre Entsprechung in der Kontinuität des Lehrplans und des Lehrbetriebs. Bis weit in die 50er jahre hinein verstand sich die Akademie als Wahrerin der naturalistischen Tradition und Bollwerk der Antimoderne.
Wenn die Ausrichtung der Akademie nach 1945 konservativ blieb, so galt dies im Übrigen auch für den Geschmack des Münchner Publikums, an dem 12 Jahre Hetze gegen entartete kunst” nicht spurlos vorbeigegangen war.
Die Nachwirkunges des Nationalsozialismus bildeten aber nur einen Aspekt der Münchner Situation, auf der anderen Seite kehrten in den ersten Nachkriegsjahren in allen Bereichen der Kunst- und Kulturszene die Vertreter der ausgesperrten Moderne zurück. Erich Kästner hat diesen Neuanfang in München so beschrieben:
“München ist der Treffpunkt derer geworden, die bei Kriegsende nicht in Berlin, sondern in West- oder Süddeutschland steckten. Mitten auf der Straße fallen sie einander um den Hals, Schauspieler, Dichter, Maler, Regisseure, Journalisten, Sänger, Filmleute – tags und abends stehen sie im Hof der Kammerspiele, begrüßen die Neuankömmlinge, wollen nach Berlin, können’s nicht, wägen ab, ob’s richtiger sei, hier oder in Hamburg anzufangen.”
(zitiert nach Hay, G.: Literarische Positionen im München der Nachkriegszeit, … S. 209)
Auch wenn Hermann Rosa ein wenig später als Kästner nach München gekommen ist, er hat diese Atmosphäre des Neuanfangs mit Sicherheit noch voll in sich aufgenommen, und er stürzt sich mit seinem ganzen Temperament in diese neue freie Welt, wie Maria Rosa berichtet: “München regte ihn ungemein an. Er war ausgehungert nach freier Bewegung in der Kunst. So entging ihm nichts, was an Ausstellungen zu sehen war, und ständig besuchte er Museen, soweit sie geöffnet waren. Es bildete sich ein Kreis von Interessierten, zu denen in der Hauptsache Künstler gehörten. Sie trafen sich einmal in der Woche im Tattersall. Hier war Rosa in seinem Element, und es entspannen sich fruchtbare Debatten. Seine Anschauung, die sich schon immer leidenschaftlich am Kunstgeschehen der Zeit orientierte, war immer dominierend.”
(Typoskript Maria Rosa, einzelnes abgeschnittenes Blatt ohne Überschrift)
Vorerst allerdings scheint der “ungekrönte König” der Kunsthochschule Prag vor einer großen Karriere zu stehen.Doch im jahre 1938 durchkreuzt die große Politik seine Lebenspläne und die von Maria Panz. Beide werden nach dem Sommersemester 1938 nicht mehr an die Prager Hochschule zurückkehren. Die im Münchner Abkommen vom 29. September beschlossene Abtretung des Sudetenlandes und der sich anschließende Bevölkerungsaustausch besiegeln das Ende der multinationalen Tschechoslowakei und machen sie zu deutschen Staatsbürgern, für die an einer tschechischen Hochschule kein Platz mehr ist.